Tracker: Die Magie der Nostalgie

Tracker: Die Magie der Nostalgie
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Jeder kennt sie: die Chiptune Sounds aus alten Videospielen wie Super Mario, Donkey Kong oder Pokemon. Programmiert wurden diese in Trackern – einer beinahe vergessenen Art der Musikproduktion. Und diese lasse ich in diesem Tutorial wieder aufleben.

Durch Zufall bin ich kürzlich über einen Social-Media-Post gestolpert, in dem es um Windows 98 und Tracker ging. Bis dato war mir diese Art der Musikproduktion nur vage ein Begriff – am ehesten noch vom Polyend Tracker, den ich aber eher mit einer Drum-Machine oder Groove-Box verbinde.

Meine Neugier war geweckt. Beim Recherchieren stieß ich auch auf diverse Audiobeispiele, deren typischer 8-Bit-Sound alter Computer und Spielekonsolen sofort nostalgische Gefühle weckte. Es scheint eigentlich banal, in der heutigen Zeit mit den uns zur Verfügung stehenden Technologien sich noch solchen Dingen zu widmen. Irgendwie haben Chiptunes aber eine gewisse Magie, zumindest auf mich.

Deshalb habe ich mir den Furnace-Tracker mal genauer angeschaut und damit gespielt. Furnace ist eine kostenlose Open-Source-Software, die Standalone unter Windows, Mac-OS und Linux läuft.

Ausschnitt der Nutzeroberfläche des Trackers von Renoise.
Ausschnitt der Nutzeroberfläche des Trackers von Renoise. Foto: Renoise

Was ist ein Tracker?

Ein Tracker für Musik ist ein Software-Sequenzer. Im Prinzip sind diese Tools ähnlich einer DAW: mehrere Instrumente beziehungsweise Klangquellen können Sounds abspielen, die sich in einer Timeline arrangieren lassen. Allerdings arbeitet man hier nicht mit einem horizontalen, sondern einem vertikalen Verlauf. Klänge werden also von oben nach unten abgespielt und lassen sich in Pattern organisieren.

Darüber hinaus werden die Noten und deren Eigenschaften in Form einer Buchstaben- und Zahlenkombination platziert und definiert – das wird in der anschließenden Einführung in Furnace noch klarer. Die Instrumente beziehungsweise Sounds können unter anderem in der Lautstärke angepasst und mit rudimentären Effekten wie Vibratos, Tremolos und Arps versehen werden.

Mit technologischen Fortschritten wurden auch Tracker weiterentwickelt. Es kamen Funktionen wie graphische Nutzeroberflächen, Sample-Unterstützung, Oszillatoren und einstellbare Hüllkurven hinzu. Moderne Adaptionen beziehungsweise Emulationen bieten zudem weitere Vorteile, beispielsweise die Auswahl und Kombination verschiedener Soundchips sowie die Unterstützung verschiedener Formate für Importe und Exporte.

Fairlight StarTrekker Screenshot
Ein Screenshot der Oberfläche des 1990 veröffentlichten Startrekker von Fairlight.
Foto: pouet.net

Historie

Hier eine kurze Übersicht über die wichtigsten Ereignisse in der Entwicklung von Trackern:

1986      Chris Hülsbeck veröffentlicht mit Soundmonitor den ersten Musik-Tracker für den Commodore 64.

1987      Karten Obarski veröffentlicht Ultimate Soundtracker für den Commodore Amiga. Als Beigabe gab es die ST-01 Sample-Disk, die 126 Samples von Synthesizern und Drum-Machines enthielt, darunter: Roland D-50 und Juno-106, Yamaha DX21 und Casio CZ-101.

ProTracker Screenshot

1990      ProTracker wird veröffentlicht. Mit 31 Instrumenten bot dieser die doppelte Auswahl an Klängen im Vergleich zu Ultimate Soundtracker.

Im selben Jahr veröffentlicht die Firma Fairlight Startrekker und Chris Hülsbeck TFMX. Letzterer führte Macros ein, die Sounds unter anderem in Pitch und Wellenform manipulieren konnten.

1993      Bastian Spiegel veröffentlicht Art of Noise, der unter anderem FM-Synthese und einen Drum-Sequenzer besaß.

1994      Mit FastTracker II wird einer der beliebtesten Tracker veröffentlicht.

2002      Renoise kommt auf den Markt und wird bis heute weiterentwickelt.

Eine visuelle Darstellung der Historie von Trackern bekommst du hier. Die Übersicht stammt von hellabs.org und wurde von von der Wayback Machine gesichert.

Sind Tracker die Vorläufer von DAWs?

Aufgrund der Features und des Workflows von Trackern könnte man vermuten, dass es sich um Vorläufer von DAWs handelt. Das ist aber nicht der Fall. Als Tracker auf den Markt kamen, gab es bereits andere Musikproduktions-Software. 1986 veröffentlichten Electronic Arts beispielsweise Instant Music. Nutzer*innen konnten Noten in eine Matrix per Klick platzieren und einen Loop abspielen – ähnlich unserer heutigen Piano-Roll. Aegis Development brachten 1987 mit Aegis Sonix eine Notenschrift-basierte DAW mit integriertem Synthesizer und Sample-Unterstützung auf den Markt. Und wir wollen nicht vergessen, dass auch Steinberg bereits 1989 Cubase veröffentlichte.

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Die Vorteile von Trackern waren, dass sie sie mit wenig Rechenleistung auskamen und die Dateiformate (MOD, XM, IT, S3M) sehr kompakt waren. Für die Anfänge der Computertechnik und digitalen Musikproduktion zwei ausschlaggebende Argumente. Außerdem liefen die Tools auf Heimanwender-Computern und eröffnete dadurch praktisch jedem, Musik digital zu produzieren. Zwar waren Computer damals noch recht teuer, aber immer noch wesentlich günstiger als dedizierte Produktionsgeräte wie dem Fairlight CMI oder dem E-mu Emulator; diese kosteten mehrere tausend Euro und waren meistens professionellen Musikern vorbehalten.

Mit besserer Hardware kamen auch immer bessere DAWs auf den Markt, die immer vielseitiger und nutzerfreundlicher wurden. So kam es, dass Tracker nach und nach verschwanden und heute ein Nischenprodukt sind, mit dem hunderte ikonischer Film- und Videospiel-Sounds kreiert wurden.

Chiptune Sounds programmieren: Einführung in Furnace Tracker

Um selbst in die Welt von Chiptune und 8-Bit-Sounds einzutauchen, habe ich mir den Open-Source-Tracker Furnace heruntergeladen. Furnace bietet eine recht moderne und übersichtliche Oberfläche, eine große Auswahl an Chip-Emulationen und wird aktiv gepflegt. Außerdem hat man die Möglichkeit, Kompositionen oder designte Sounds als Wav-Datei zu exportieren. Somit ist auch die Eingliederung in moderne Produktionsmittel kein Problem.

Furnace Tracker Nutzeroberfläche
Der Furnace Tracker ist ein kostenloser und vielseitiger Emulator.

Die Oberfläche von Furnace

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, ist die Nutzeroberfläche von Furnace logisch und übersichtlich konzipiert. Im oberen Bereich gibt es per Default vier Sektionen für

  • Pattern: Übersicht und Verwaltung der Pattern
  • Utilities: Transportfunktionen, Oszilloskop sowie Step- und Tonhöheneinstellungen
  • Sound: Hierüber werden Instrumente, Wavetables und Samples erstellt, bearbeitet und organisiert
  • Projekt: Einstellungen für unter anderem Tuning, Projektname, Speed und Default System Chip

Unterhalb dieser Sektion befindet sich der Sequenzer. Dessen Pattern-Länge für diesen stellst du unter „Speed“ ein. Der Sequenzer stellt bereits alle möglichen Kanäle bereit, sodass du später die Noten nur noch in die richtige Spalte eingeben musst.

Ganz rechts befindet sich die Effektliste. Hierüber kannst du herausfinden, welche Effekte zur Verfügung stehen und welchen Code sie nutzen. Es empfiehlt sich, die Liste immer geöffnet zu haben, da verschiedene Klangerzeuger verschiedene Effekte unterstützen.

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Modularer Aufbau

Ein weiteres Feature der Nutzeroberfläche von Furnace ist ihr modularer Aufbau. Du kannst jedes Fenster beliebig verschieben. Solltest du dabei versehentlich eins schließen, zum Beispiel die Effektliste, kannst du es oben im Menü unter „Window“ wieder einblenden.

Das Window-Menü öffnet dir auch weitere Bearbeitungsmöglichkeiten über Module, die Default-mäßig nicht angezeigt werden, darunter der Mixer und der Pattern Manager. Es lohnt sich auf jeden Fall, hier immer wieder einen Blick rein zu werfen, wenn du eine Funktion nicht finden kannst.

Keyboard-Belegung für Furnace Tracker
Deine Computer-Tastatur dient in Furnace gleichzeitig als Klaviatur. Foto: tildearrow.org

Basics

Diese Grundfunktionen solltest du in Furnace kennen:

  • Enter: Play/Stop
  • Leertaste: Wechsle zwischen Play- und Edit-Modus (visualisiert durch das Rec-Symbol in der Utility-Sektion)
  • Pfeiltasten: Navigation im Sequenzer
  • Del: Eingaben löschen
  • Deine Tastatur dient gleichzeitig als Klaviatur
  • Rechtsklick auf einen Kanal soliert diesen
  • Linksklick auf einen Kanal mutet diesen

Code verstehen

Die kryptisch erscheinenden Codes folgen einer festen Belegung:

Furnace Tracker Code-Erklärung

Furnace Tutorial: Retro-Arp-Effekt erzeugen

Um ein Gespür für den Tracker zu bekommen, kreieren wir den typischen Arp-Effekt alter Videospiele. Und dieser klingt so:

Arp Single
Arp Dual

Schritt 1: Öffne Furnace und lege ein neues Projekt unter „File“ an. Es öffnet sich automatisch der Chip Manager, den du übrigens jederzeit ebenfalls unter „File“ wieder aufrufen kannst. Wähle unter der Kategorie „Computers“ den Commodore Plus/4 mit einem Doppelklick aus.

Chip in Furnace auswählen

Schritt 2: Nun müssen wir ein Instrument erstellen. Das machst du in der Sound-Sektion oben in der Mitte. Klicke auf das Plus-Symbol im Instrument-Tab. Da wir nur einen Chip haben, wird direkt ein Instrument erstellt. Klicke nun wieder doppelt auf „Instrument 0“ und benenne dein Instrument im Editor um. Das hält deine Session übersichtlich.

Instrument in Furnace erstellen und bennen

Schritt 3: Über deine Computer-Tastatur kannst du Noten spielen. Die unterste und oberste Reihe Buchstaben sind die weißen Tasten eines Klaviers, angefangen bei „C“. Die mittlere Reihe triggert schwarze Tasten, angefangen bei C#.
Im Oszilloskop kannst du nun auch erkennen, dass der Chip eine Rechteck-Welle erzeugt.

Schritt 4: Klicke nun im Sequencer bei Channel 1 auf den ersten Punkt in Reihe 0. Nun sollten drei Punkte blau markiert sein. Prüfe, ob du im Editing-Modus bist (Aufnahmeknopf leuchtet grün) und erhöhe die Oktave in der Utilities-Sektion um 1 auf den Wert 4. Drücke anschließend y auf deiner Tastatur. Nun hast du die Note C4 gesetzt.

Schritt 5: Wenn du nun Enter drückst, stellst du fest, dass Channel 1 durchgehend den Ton abspielt. Um daraus einen Arpeggiator zu machen, öffnest du nochmal den Instrument Editor. Klappe dort die Arp-Sektion aus und setze die Anzahl der Steps auf 24. Als Pattern kannst du folgende Werte einfügen: 0 1 2 3 0 -1 -2 -1 0 1 2 -2 -1 0 -2 1 2 1 0 -2 -1 0 1 2

Arpeggiator eines Instruments einstellen

Schritt 6: Nun wollen wir das Ganze noch mit einem Vibrato verfeinern. Anhand der Eventliste erkennst du, dass der Code dafür 04xy ist. Navigiere mit den Pfeiltasten deiner Tastatur hinter die blaue Zahl von Channel 1, Zeile 0. Dort tippst du die Zahl 8 ein (definiert die Lautstärke) und danach wiederum 0467.

Effekte in Furnace hinzufügen
Arp doppeln in Furnace

Schritt 7: Zu guter Letzt müssen wir den Sound stoppen, wenn er Arp-Effekt vorbei ist. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Du kannst den Sound einfach als Wav-Datei rendern und den Überhang in einer DAW abschneiden. Du kannst aber auch die Steps in der Projekt-Sektion so lange reduzieren, bis nur noch der Effekt hörbar ist. Ich habe mich für einen schnellen Fade entschieden. Diesen setzt du in den letzten vier Punkten von Zeile fünf anhand von FA07.

Schritt 8: Wenn du deinem Soundeffekt noch Tiefe und Würze geben willst, kannst du Channel 2 mit einem E4 und leicht verringerten Werten bespielen. Wenn du mit deinem Sound zufrieden bist, kannst du ihn als Wav-Datei exportieren.

Furnace Tutorial Audio-Export

Furnace Tutorial: Vintage-Sequenz bauen

Nachdem du nun erste Erfahrungen mit Furnace gemacht hast, wagen wir uns an ein etwas komplexeres Projekt: dem Erstellen einer Sequenz. Aber keine Angst, das ist einfacher, als es auf den ersten Blick aussieht. Und so klingt das Ganze:

Schritt 1: Lege ein neues Projekt an und füge folgende Chips hinzu:

Chips für die Sequenz auswählen
  • TI SN76489
  • Yamaha YM2413 (OPLL)
  • POKEY
  • Watara Supervision
  • Yamaha YMF278B (OPL4) with drums

Schritt 2: Setze das Tempo auf 150 bpm und die Anzahl der Steps (Pattern Length) auf 64.

Schritt 3: Instrument 0, der Yamaha YM2413 (OPLL) spielt eine simple Melodie (FM1), eine Bassline (FM2) und eine Harmonie (FM3). Baue diese wie auf den Bildern gezeigt nach und achte darauf, auch alle Lautstärke- und Effektparameter entsprechend zu setzen. Bei der Melodie gibt es beispielsweise einen Tape-stop-artigen Effekt am Ende.

Schritt 4: Instrument 1, der TI SN76489, nutzen wir für ein tonales Layer. Setze dafür folgende Parameter im Kanal „Square 1“:

  • Step 0: D-20108
  • Step 32: B-201
  • Step 60: F490 (Volume slide down)
  • Step 63: 1 (Note off)

Schritt 5: Im nächsten Schritt setzen wir Instrument 2, POOKEY, als Kontermelodie und Effektgenerator ein. Befülle dafür Channel 1 und Channel 2 wie auf den Bildern gezeigt.

Schritt 6: Instrument 3, Watara Supervision, soll dieses typische hektische und leicht chaotische Gefühl von Chiptune Sounds erwecken. Aktiviere dafür den Arpeggiator im Instrument Editor und programmiere den Kanal „Pulse 1“ wie folgt:

Schritt 7: Zu guter Letzt setzen wir noch ein paar rhythmische Akzente. Dafür kommt Instrument 4, Yamaha YMF278B with Drums, in Spiel. Befülle dafür die Kanäle „BD“, „Snare“ und „HiHat“ wie auf den Bildern zu sehen.

Abschluss

So, soweit zur Einführung in Tracker anhand von Furnace. Wenn du dem Tutorial bis hierhin gefolgt bist, hast du erfolgreich deinen ersten Arp und deine erste Sequenz erstellt! 🙂

Ich hoffe dich damit inspiriert zu haben und die charmante Ästhetik dieser Klangerzeuger vermitteln konnte. Schreibe mir gerne unten in die Kommentare, was du von Trackern hältst und ob du selbst schon damit experimentiert hast.

Fotos: pouet.net, Unsplash, Screenshots

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