Wenn Künstliche Intelligenz Moderatoren ersetzt

Dem ersten deutschen KI-moderierten Radiosender wurde kürzlich stattgegeben. Menschen sind hier nur noch eine Randerscheinung, um Fakten zu checken und Prozesse zu prüfen. Hören wir bald nur noch synthetische Stimmen?
Kennst du das noch, als man früher Zuhause gemeinsam mit der Familie ums Radio saß, um den Themen und Geschichten der Moderatoren zu lauschen? Durch Chart-Shows neue Songs zu entdecken? Das waren noch Zeiten! Und natürlich kann man das heutzutage nach wie vor tun. Allerdings haben Genre-spezifische Online-Radios und Musik-Streaming-Dienste das traditionelle Radiohören für mich, vermutlich für die meisten, ersetzt. Doch auch wenn ich jahrelang kaum noch an diesem Format interessiert war, habe ich in letzter Zeit wieder vermehrt Radio gehört. Und nicht etwa aufgrund der Musikauswahl oder der Stories, sondern aufgrund Künstlicher Intelligenz (KI).
Auch wenn wir im Audiobereich bereits seit längerem mit Dingen wie KI-Mastering und -unterstützenden Funktionen in Plug-ins konfrontiert werden, macht der scheinbar abrupte Fortschritt in der Entwicklung doch viele nervös. KI mischt und mastert Musik nicht mehr nur, sondern produziert sie auch bei Bedarf. Und sie kann natürlich Texte schreiben und vertonen. Innerhalb weniger Minuten entstehen so ganze Songs. Das ist gleichermaßen faszinierend als auch gruselig.
Man kann argumentieren, dass eine KI zu emotionslos ist und deswegen weder Künstler noch Engineers vollständig ersetzen kann. Auch das Zwischenmenschliche bleibt unberührt. Aber was, wenn diese Komponenten beziehungsweise Voraussetzungen hinfällig sind? Bei Voice-Overs für Dokumentationen zum Beispiel. Beim Vortragen von Nachrichten. Bei Wetterberichten. Überall eben, wo in der Regel neutral und emotionslos gesprochen wird.
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Wie du sicherlich mitbekommen hast, haben in den USA Regisseure, Schauspieler und Voice Actors mitunter aufgrund dieser Sorgen und Befürchtungen demonstriert. Hierzulande hingegen habe ich kaum großartige Proteste mitbekommen – am ehesten noch vom Verband der Synchronsprecher. Doch die „Bedrohung“, wenn man es so nennen möchte, ist näher als so manch einer vielleicht denkt…
Hintergrund
Ausschlaggebend für diesen Post war das Radio. Sonntagmorgens höre ich ab und an mal einen kanadischen Sender. Während das Programm vor sich hin dröppelte, stellte sich immer wieder die Moderatorin vor, eine AI Layla. Und nachdem ich irgendwann tatsächlich mal aktiv zugehört hatte, hat es auch bei mir Klick gemacht. Ich hörte einer KI zu!
Irgendwie hat mich das ziemlich überrascht. Klar wusste ich, dass es möglich ist. Ich dachte aber nicht, dass KI bereits aktiv für Moderationen eingesetzt wird. Von meiner Neugier getrieben habe ich dem Sender, 101,1 More FM, eine Anfrage zu der Thematik gestellt, die aber unbeantwortet blieb.
Selbstverständlich warf diese Realisation die Frage auf, wie es eigentlich hierzulande mit dem Einsatz von KI im Radio steht…

KI-Moderation: Grundstein gelegt
Recherchen brachten schnell zu Tage, dass es auch in Deutschland bereits Radiosender gibt, die von einer künstlichen Intelligenz betrieben werden – teils von der Musikauswahl bis hin zur Moderation. Beispiele solcher Sender sind Absolut Radio AI von Antenne Deutschland und bigGPT von BigFM. Die große Überraschung ist hier Absolut Radio AI, denn der Sender ist nicht nur über das Internet, sondern auch „normal“ über DAB+ empfangbar.
Laut einer Pressemeldung vom Medienrat der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) hat diese das KI-Angebot von Antenne Deutschland akzeptiert. Lediglich die Zustimmung der Kommission für Zulassung und Aufsicht steht noch aus. Damit wäre der Grundstein für KI-Radiosender gelegt, vorerst von dem Moderatoren-Team mit den kreativen Namen kAI und AIleen (ich kanns kaum erwarten, was für geniale Wortspiele uns noch erwarten…). Immerhin werden die Inhalte nach wie vor von einer (menschlichen) Redaktion geprüft und verantwortet.
Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der BLM, äußerte sich wie folgt: „Die BLM hat das Angebot intensiv geprüft und sich die Entscheidung im Hinblick auf die Einhaltung medienrechtlicher Vorgaben nicht leichtgemacht. Der Medienrat betritt damit Neuland, da es bislang keine vergleichbare Befassung gegeben hat – in und außerhalb Deutschlands. Ausschlaggebend für die Zustimmung von Absolut Radio AI waren Transparenz und Kennzeichnung beim Einsatz von KI sowie die Kontrolle durch die Redaktion. Grundsätzlich war und ist es der BLM ein großes Anliegen, dass Medienunternehmen in der Praxis die Potenziale Künstlicher Intelligenz erproben. Absolut Radio AI geht hier als Pionier voran und ist sich dabei seiner menschlichen Verantwortung im Umgang mit KI sehr bewusst.“
Gerade die Kennzeichnung von Inhalten die von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden ist essentiell. Es ist aktuell schon teilweise schwierig, den Unterschied zu hören. Früher oder später vermutlich gänzlich.
Hast dus gemerkt? – Das Cover-Bild und das erste Bild in diesem Beitrag sind KI-generiert. Vor allem im Cover sind auffällige Fehler, wie die seltsame Verkabelung und Platzierung des Kopfhörers des Herrn.
Kosten halbieren, Gewinn verdoppeln
Für Betreiber von Radiostationen ist die Möglichkeit einer KI-generierten und -moderierten Sendung sicherlich Musik in den Ohren. Sie können die Personalkosten drastisch senken und somit Umsätze und Gewinne steigern. Denn eine KI kann auch blitzschnell auf Situationen reagieren.
Ob KI tatsächlich Interviews führen und Geschichten auf unterhaltsame Weise erzählen kann, wie es Menschen tun, bleibt abzuwarten. Bisher hatte ich den Eindruck, dass die KI-Sender hauptsächlich auf Musik setzen und verhältnismäßig wenig gesprochen wird.
In einem unserer Nachbarländer ist man allerdings schon einen Schritt weiter gegangen:

Das „Forschungs- und Medienexperiment“ von OFF Radio
Wie das ZDF berichtete, hat der polnische Radiosender OFF Radio laut eigenen Aussagen ein „Forschungs- und Medienexperiment“ mit KI durchgeführt. Dafür haben die Verantwortlichen zwei virtuelle Moderatoren erfunden, die bis Ende Oktober eine zweistündige Sendung der Krakauer Radiostation moderierten.
Das Experiment sollte wohl drei Monate dauern, wurde aber bereits nach einer Woche aufgrund heftiger Kritik abgebrochen. Nur ein paar Wochen davor, Ende September, sollen laut dem ehemaligen OFF-Radio-Journalisten Mateusz Demski die Verträge von ein Dutzend Journalisten, Künstlern und Musikern nicht verlängert worden sein. Er deutete auch an, dass die von der KI erstellen und in Audio umgewandelten Inhalte vor Veröffentlichung nicht immer von der Redaktion überprüft wurden – ein Punkt, der auch in der oben genannten Pressemeldung des BLM eine wichtige Rolle spielte.
Auch wenn OFF-Radio-Chefredakteur Marcin Pulit bestritt, dass die Entlassungen in Zusammenhang mit dem Experiment stünden, zwang die öffentliche Kritik den Sender zum Zurückrudern.
Anschließend haben die Verantwortlichen eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es laut ZDF heißt: „Man habe bereits nach einer Woche so viele Beobachtungen, Meinungen und Schlussfolgerungen gesammelt, dass man entschied, das Experiment nicht weiterzuführen. Außerdem sei man von den „emotionalen Reaktionen“ überrascht gewesen.“
OFF-Radio soll nun jedenfalls gar keine Moderation mehr haben und Musik in Dauerschleife spielen.
Wie weit darf man gehen?
OFF Radio ging aber noch einen Schritt weiter und hat nicht nur KI-Moderatoren eingesetzt, sondern auch KI-Gäste. Der Sender strahlte ein Interview zwischen Moderatorin Emi und Wistawa Szymborska aus. Thema war die diesjährige Literaturnobelpreisverleihung. Bei den Hörern kam das Gespräch mit der 2012 verstorbenen polnischen Dichterin aber scheinbar nicht so gut an…
Hier stellt sich natürlich eine ethische Frage: Welche Gründe rechtfertigen eine digitale Nachahmung einer Person? Denn egal auf wie vielen Daten die künstlichen Antworten und Aussagen basieren, letzten Endes weiß niemand, ob die Person es tatsächlich so formuliert hätte.
Immerhin hatten OFF Radio angeblich das Einverständnis der Wis?awa-Szymborska-Stiftung für das Interview eingeholt.

Werden Social-Media-Trends die neuen Nachrichten?
Das KI bereits die Musikauswahl übernimmt, hatte ich bereits angesprochen. BigFM schreibt in Bezug auf bigGPT, das System „… pickt täglich für euch das Beste von TikTok, Shazam, Spotify und Tinder – die komplette Musikauswahl ist KI-generiert“. Trendende Audios von sozialen Medien im Radio zu spielen halte ich zwar für kontraproduktiv, aber das ist Geschmacksache. Und Tinder? Ernsthaft? Naja, jeder so, wie er will…
Spinnen wir das Ganze aber mal noch weiter: Wie überall in der Unterhaltungsbranche geht es auch beim Radio um Reichweite und Nutzerzahlen. Nehmen wir also mal an, ein KI-Sender spezialisiert sich darauf, virale Reels, TikToks, etc. zu finden, die auch ohne visuelle Darstellung funktionieren, und veröffentlicht diese in einem Nachrichtenformat. Vielleicht verfeinert mit etwas Klatsch und Tratsch rund um bekannte und beliebte Creators und Influencer. Aufgrund dessen werden die Konsumenten den Sender gerne hören, denn sie bleiben auf dem Laufenden. Dadurch steigt automatisch die Reichweite, neue Hörer und Werbepartner kommen hinzu – ein stetiger Kreislauf. Das geht so weit, dass der Großteil der Bevölkerung nur noch diese „Nachrichten“ hört, statt relevanter und journalistisch fundierter. Besorgniserregend, oder?
Regeln implementieren, kritisch bleiben

Natürlich ist das eben genannte Szenario reine Spekulation meinerseits. Allerdings kann man heute schon den Eindruck gewinnen, dass insbesondere junge Menschen lieber Influencern bei irgendeinem Werbevideo zusehen, als Nachrichten oder andere qualifizierte Informationen zu konsumieren. Und ja, natürlich sind an einem Streit immer zwei Schuld.
Darum soll es aber auch gar nicht gehen. Vielmehr soll das ein Appell sein, kritisch zu sein. Dinge, Informationen zu hinterfragen. Denn irgendwann wird es extrem schwer werden, Informationen und Geschehnisse als wahr oder falsch einzuordnen.
Auch wenn das Wort „Reglementierung“ immer einen unschönen Beigeschmack hat, halte ich es für extrem Wichtig, dass Politik und Verbände feste Regeln für den Einsatz und die Verwendung von KI festlegen – und zwar schnellstmöglich. Ein erster guter Ansatz ist der EU Artificial Intelligenz Act vom Future of Life Institute.
Jetzt bist du dran: Teile gerne deine Gedanken zu diesem Thema unten in den Kommentaren. Ich bin gespannt, wie ihr dazu steht.
In diesem Sinne,
Dein (menschlicher) Chris
Fotos: Fooocus AI, Pexels, Future of Life Institute